
Brit Bennetts Roman „die verschwindende Hälfte“ fiel mir bereits vor einigen Monaten beim Sichten der Rowohlt-Verlagsvorschau ins Auge. Das auffällige Cover hatte mich neugierig gemacht, und ich hatte auch von Bennett erstem Roman „Die Mütter“ viel Gutes gehört. Daher war ich sehr erfreut, als ich feststellte das ein Leseexemplar auf Netgalley angeboten wurde und musste es direkt runterladen.
Die Geschichte spielt in einer Kleinstadt im ländlichen Louisiana, Mallard, deren Schwarze Einwohner*innen stolz darauf sind, dass ihre Hautfarbe von Generation zu Generation immer heller wurde. In den 1950er Jahren werden hier die Zwillinge Stella und Desiree geboren, die beide ebenfalls extrem hellhäutig sind. Die Mädchen wachsen in Armut auf und müssen sogar mit ansehen, wie ihr Vater von Weißen brutal zusammengeschlagen und später getötet wird. Auf Grund der finanziellen Situation der Familie müssen sie mit 16 die Schule abbrechen und ihrer alleinerziehenden Mutter helfen, Geld zu verdienen. Besonders für die kluge Stella ist das ein harter Schlag, da sie immer davon träumte aufs College zu gehen. Die Zwillinge beschließen also in einer Nacht-und-Nebel-Aktion Mallard zu verlassen und im nahegelegenen New Orleans neu anzufangen. Hier trennen sich die Wege der beiden Schwestern und es wird nun in wechselnden Zeiten erzählt.
Während Desiree eine Tochter mit einem sehr dunkelhäutigen Mann bekommt, die die Hautfarbe ihres Vaters erbt, lebt Stella von nun an als Weiße. Sie lässt ihr Leben als Schwarze und ihre Familie komplett hinter sich um die Privilegien einer Weißen genießen zu können. Sie heiratet einen erfolgreichen Mann, mit dem sie eine blonde Tochter hat und lebt im Luxus. Der Preis dafür ist hoch, sie lebt in der ständigen Angst enttarnt zu werden und kann deswegen auch keinen Kontakt zu ihrer Schwester mehr zulassen.
Es wird dabei nicht nur die Geschichte von Desiree und Stella erzählt, sie wird auch in ihren Töchtern Jude und Kennedy weitergeführt. Ich möchte hier gar nicht so viel vorweg nehmen, was aus den beiden Mädchen wird, da ihr Leben auf gewisse Weise die logische Konsequenz aus den Entscheidungen ihrer Mütter ist. Logischerweise genießen sie durch ihre verschiedenen Hautfarben auch verschiedene Privilegien, aber auch im Wesen sind sie sehr verschieden. Interessanterweise hat man bei beiden Mädchen den Eindruck, dass sie charakterlich jeweils nach der unbekannten Tante schlagen. Zumindest in Zügen sind Ähnlichkeiten vorhanden, diese Symmetrie in der Erzählung hat mir extrem gut gefallen.
Grundsätzlich habe ich das Buch sehr gerne gelesen, da ich die komplexen Charaktere gerne kennengelernt habe. Manche waren sympathischer, andere weniger, aber alle waren glaubhaft. Die einzigen Kapitel, die ich nicht ganz so gerne gelesen habe waren die von Stellas Tochter Kennedy, da mich ihre Geschichte tatsächlich am wenigsten interessiert hat. Das waren die einzigen Längen, die ich beim Lesen empfunden habe.
Im letzten Jahr habe ich mich durch die BLM-Bewegung viel mit dem Thema Rassismus auseinandergesetzt. Daher fand ich es spannend viele Aspekte von Diskriminierung auch in diesem Roman wiederzufinden. Insbesondere das Phänomen des „Colorism“, also die Diskriminierung von dunkelhäutigeren POC durch hellhäutige POC, wurde durch die Heimatstadt der Zwillinge hervorragend verbildlicht. Aber auch viele schönen Aspekte der Schwarzen Community wurden deutlich, und es war eine ganze Menge an Liebe zu spüren.
Fazit: Insgesamt eine tolle Familiengeschichte, besonders wenn man sich für Geschichten über Frauen, POC, und tatsächlich auch LGBTQ+-Themen interessiert! Zur Zeit sind das meine absoluten Top-Themen, und wem es genauso geht, dem würde ich die Lektüre definitiv ans Herz legen. Wer aber auf der Suche nach einem seichten Familienroman ist, dem würde vermutlich eher zu etwas anderem raten.
🖤🖤🖤🖤🤍
Brit Bennett
Die verschwindende Hälfte
978-3-498-00159-9
Rowohlt
Hardcover, 22 €
Hallo Tomke,
kaum auf Deiner Blogseite angelangt, schon das erste interessante Buch entdeckt. Zwei meiner besten Freunde sind auch PoC (Sudan und Nigeria). Wir sind miteinandern aufgewachsen und dadurch habe ich auch so einige schmerzlichen Erfahrungen mit Rassismus gemacht.
Das sich jedoch PoCs untereinander selbst aufgrund Abstufungen der Hautfarbe diskriminieren habe ich erst über Twitter mitbekommen, wenn auch nur am Rande, und es ist mir ehrlich gesagt völlig unverständlich und es hat mich unglaublich geärgert.
Diese Buch spricht genau diese Thematik an und auch den Wunsch weiß zu sein, was ich unglaublich traurig finde. Ziemlich harter Stoff und ich denke das Buch wird wohl auf meine WL landen und von dort demnächst in mein Regal.
Vielen Dank für die tolle Vorstellung des Buches mit einem ganz wichtigen Thema.
Liebe Grüße aus Wien
Conny
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